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Out now: Wood & Steel Trio feat. Michael Schiefel
„Ich schrieb damals [...] wirklich ein 'Hollywooder Liederbuch'. Das heißt, ich schrieb fast jeden Tag zumindest ein Lied – manchmal auch mehr – entweder nach einem Text von Brecht oder nach Hölderlin [...] oder andere Sachen, zum Beispiel nach Pascal. Und auf eine große Mappe schrieb ich drauf: 'Hollywooder Liederbuch' oder 'Hollywooder Tagebuch', daran erinnere ich mich nicht, und sagte: Das ist so mein Zeitvertreib; das ist, was ich neben der Arbeit mache.“ Der Zeitvertreib des großen deutschen Komponisten blieb tatsächlich auch nach Eislers Rückkehr aus den USA lange Zeit in der Schublade. Bis heute sind die Lieder, trotz ihrer frappierenden Qualität und Intensität, wenig bekannt und werden selten gespielt. Der klassische Pianist Eric Schneider hat sie 1998 mit dem Sänger Matthias Goerne in der Ästhetik des Kunstlieds auf ein Album gebracht. Eine Weile später beschäftigten sich Schneider und Michael Schiefel mit den Stücken, allerdings nur zum Privatvergnügen. Danach trug Schiefel das Repertoire lange im Hinterkopf mit sich herum. „Die Herausforderung war, dass Eisler die Musik so filigran und komplex wie einen Seiltanz angelegt hat. Man kann nicht damit herumspielen oder experimentieren, ohne sie zu beschädigen“, erklärt der Sänger. Die Lösung lautete schließlich: statt die Notation zu ändern, galt es eine andere Instrumentierung zu finden. „Ich schlug die Idee dem Wood & Steel Trio vor und sie waren begeistert, den Klavierteil zu übernehmen“, erinnert sich Schiefel. Noch in die Entwicklungsphase platzte das Angebot des Berliner Jazzfestivals, ihre Version des „Hollywood Songbook“ live zu präsentieren. „Neben der Kraft der Texte faszinierte uns die Bandbreite der musikalischen Sprache und die kondensierte Substanz der einzelnen Lieder“, beschreibt Marc Muellbauer die Eindrücke, die Eislers Musik beim Wood & Steel Trio hinterließ. Mit Kontrabass, der stählernen, akustischen Dobro-Gitarre, einem metallisch-flirrenden Vibraphon oder einer hölzern, warm timbrierten Marimba orchestriert die Band die Lieder nun völlig neu, veränderte aber so gut wie keine Note des Originals. Grundsätzlich war ihnen diese Arbeitsweise nicht fremd. „Wir hatten schon früher an Arrangements von Klaviermusik gearbeitet, beispielsweise für unser Album Secret Ingredient ein Notturno von Grieg adaptiert“, sagt Muellbauer. Die Aufteilung der Komposition auf die ungewöhnliche Instrumentenkombination erwies sich dennoch als anspruchsvolles Unterfangen. Viele Ideen, etwa parallel geführte Stimmen, wurden ausprobiert und verworfen. Darüber hinaus wollten die gestandenen Jazzer natürlich nicht ganz auf Improvisationen verzichten. „Die Lieder selbst ließen wir in ihrer kargen Lakonik unangetastet. Aber wir nahmen wenige Takte aus einzelnen Stücken und improvisierten daraus Zwischenspiele, denen wir komplett frei assoziierte Teile entgegensetzen“, erklärt Muellbauer und Schiefel ergänzt, „die neuen Einleitungen reflektieren auf unsere Art die Stimmungen der darauf folgenden Stücke.“ Es ist nicht überliefert, welche Spielweise Eisler für sein Hollywood Liederbuch im Kopf hatte. Zumal er selbst recht nonchalant mit Stilen jonglierte, sich eben nicht irgendwelchen Vorgaben unterwarf, die ihn bei seiner Auftragsarbeit als Filmkomponist quälten. „Ich habe mir vorgestellt, dass dieses eklektische Liederbuch für Eisler ein Weg zu einem innerem Ausgleich war“, sagt Michael Schiefel. Die Idee, sich selbst beim Komponieren keinen stilistischen Rahmen zu setzen, ist für den variablen Sänger natürlich zeitgemäßer denn je. Michael Schiefel singt Eislers Liederzyklus auf seine individuelle, klangfarbenreiche Art, mit der er in den letzten Jahren nicht nur innerhalb der Jazz-Szene markante Akzente setzte. „Lieder wie Der Kirschdieb und Der Schatzgräber sind mit funktioneller Harmonik ziemlich eingängig angelegt“, skizziert Schiefel das Repertoire, „Vom Sprengen des Gartens könnte aus dem 19. Jahrhundert stammen, Schatzgräber mit seiner Poesie von Goethe sogar noch älter sein. Dagegen verweisen In den Weiden, Frühling und Der Sohn klar aufs 20. Jahrhundert. Ihre starken Tonsprünge sind zwar nicht richtig atonal, gehen aber manchmal in unerwartete Richtungen und sind sehr anspruchsvoll zu singen.“ Gleiches gilt für das kontrastreiche Nightmare, während An den kleinen Radioapparat seine melancholische Beunruhigung in eine trügerisch schöne Melodie kleidet. Wenn man Eislers Exilmusik und Bertold Brechts auf der Flucht und in den Vereinigten Staaten verfassten Texte heute hört, kommt man kaum umhin, an Flüchtlingsdramen der Gegenwart zu denken. „Brechts Sprache ist von einer Haiku-artigen Knappheit, es gibt kein Wort zu viel“, konstatiert Marc Muellbauer, „gleichzeitig sind die Gedichte Momentaufnahmen, die in ihrer Intimität etwas Universelles haben. Sie beschreiben die kleinen Dinge, und lassen dadurch das Grauen, durch das sie entstanden sind, unerbittlich hervortreten. Diese 70 Jahre alten Lieder lesen sich angesichts der aktuellen Flüchtlingsschicksale noch einmal komplett und erschütternd neu.“ Der Tiefe und Komplexität von Eislers Hollywooder Liederbuch werden Michael Schiefel und das Wood & Steel Trio mehr als gerecht. Sensibel kreieren sie höchst nuancierte und intensive Interpretationen, transzendieren den Geist der Originale respektvoll in eigenwillige neue Variationen, die über den Tag hinaus Bestand haben. Vielleicht wird es eines fernen Tages keine Fluchten mehr geben müssen, doch selbst dann werden diese Lieder immer noch tief berühren. Besonders in dieser aller Voraussicht nach einmaligen Interpretation des charismatischen Sängers Michael Schiefel mit dem unvergleichlichen Wood & Steel Trio. „Das war die entsetzliche Idylle dieser Landschaft [...]. Brecht beklagte sich [...]. Es wäre ihm alles zu lau und zu milde [...] und diese ewige Blumenblüherei wäre überhaupt schon zum Kotzen. [...] Und das führte eben auch zu diesem ganz knappen und konzisen Stil als Gegengift. ‚Da darf man sich auf keinen Fall gehen lassen, wenn die Luft so milde ist‘, meinte er.“ Hanns Eisler, 13. April 1958.
Michael Schiefel - Platypus Trio „What about the Platypus?“ (aus: »Dreamtime Platypus«)
Das Schnabeltier (lat.: Platypus) ist ein faszinierender Sonderfall der Biologie. Die Zoologen mussten eigens eine taxonomische Untergruppe für das Tier einrichten, das sowohl Eigenschaften von Säugern, Vögeln und Reptilien in sich vereint.
„Der Platypus räusperte sich und sagte: „Danke euch allen, dass ihr heute hierher gekommen seid.
![]() Wow, ECHO Jazz 2013 - Sänger der Jahres / national - ich freu mich!
Improviser in Residence - Moers 2013 Ich freue mich sehr, im nächsten Jahr Improviser in Residence in Moers
zu sein! Natürlich habe ich schon viele Ideen für das kommende
Jahr, aber die werde ich Euch erst nach und nach verraten! - >> Improviser-Blog
Neues Album mit Thärichens Tentett Thärichens Tentett Die CD eröffnet mit einem Titel („Deutsch“), der den Zweifel voranstellt: Wenn ich Deutsch sing´ find ich´s komisch – der aber wird im weiteren Verlauf pulverisiert. Im folgenden Titelstück „An Berliner Kinder“ verflechtet Thärichen den sarkastischen Text Ringelnatz´ mit einer Komposition, die aus dem Gedicht ein Gesamtkunstwerk werden lässt. Auch in den weiteren Stücken der CD versteht es Thärichen, die Atmosphäre der Lyrik musikalisch zu verdichten, sei sie nun eher satirischer Natur („Der Schizophrene“/Hugo Ball), von einer tiefen Trauer durchsetzt („Abschied“ und „Totenklage“/Hugo Ball, „Aus“/Joachim Ringelnatz), oder mit viel Augenzwinkern angereichert („Genau besehen“ und „Ferngruß von Bett zu Bett“/Ringelnacht, „Seepferdchen und Flugfische“/Hugo Ball). Hier reiht sich eine deutsche Übersetzung von William Shakespeare´s Sonett Nr. 87 ein, einem (hoffnungslosen) Liebesgedicht. Und eine einmalige Version von Bachs Arie BWV 213, Nr. 3, in der es u.a. heißt „Schmecke die Lust Der lüsternen Brust“ (der Text wurde bei der Weiterverwendung der Arie im „Weihnachtsoratorium“ deutlich angepasst…). Eine immense Herausforderung für Schiefels Stimmorgan und für Thärichen´s Arrangierkunst! Beide meistern sie glänzend – fürwahr ein musikalisches Kleinod.
Neues Album mit JazzIndeed JazzIndeed JazzIndeed bündeln auf dem neuen Album alles, was ihre Musik so großartig
macht: Eine sehr melodiöse, liedhafte Herangehensweise mit feinnervigen
Rhythmen und ohne Berührungsängste mit der Popmusik – einerseits.
Anderseits viele Ingredienzien, die guten Jazz ausmachen: Freie Improvisation,
nonverbaler Gesang, Dynamik und rhythmische Vielfalt. Vermeintliche Gegenpole
finden bei JazzIndeed eine erstaunliche Balance.
Neues Soloalbum
Michael Schiefel „My Home Is My Tent“ ist Michael Schiefels fünfte Solo-Arbeit und seine vierte CD für Traumton. Es ist ein Album, das seinen schmalen Schultern eine konzeptuelle Doppelbelastung aufbürdet, und soviel sei schon verraten: Er trägt sie mit Leichtigkeit. Zunächst ist es ein „Themenalbum“, das einen lyrischen und musikalischen Blick auf neun Großstädte wirft, die der Sänger (mit einer Ausnahme) in den letzten Jahren und Monaten bereist hat. Andererseits ist es ein Solo-Album im allerwahrsten Wortsinn, das zu 100 Prozent aus Michael Schiefels vokalen Äußerungen besteht. Das beschreibt, wie seine Fans und seine Kritiker wissen, ein weites Spektrum: vom generischen Jazzgesang zum expressiven Ausdruck, von feminin bis maskulin, von Naturschauspiel bis digital-effektiv, vom Scatgesang zum Beatboxing. Die einzigen Werkzeuge sind dabei ein für ihn entwickeltes Loopgerät, mit dem er seine Stimme auf sich selbst zurückwerfen und, je nach Bedarf, zu mehrstimmigen Chören oder ganzen Vokal-Ensembles schichten kann; und ein Laptop, dessen Software dem ausgeprägten Spieltrieb seines Benutzers unbegrenzte Möglichkeiten der Deformation, Dehnung, Streckung und Gestaltung der Stimmfragmente in die Hand gibt. Mit diesen Mitteln kann Schiefel komplexe, an außerweltliche Madrigale erinnernde Mehrstimmigkeit erzeugen, oder auch mal eine komplette Band mit Schlagzeug, Bass und Harmonieinstrumenten. „My Home Is My Tent“ wurde im Traumton-Studio in Berlin aufgenommen. Zum Teil wurden Arrangements, die Schiefel bereits „on the road“ angefertigt hatte, mit neuen Lead-Stimmen versehen und finalisiert, andere Stücke entstanden als spontane Improvisationen. Einige Tracks, wie der emblematische Titelsong, basieren auf Texten (von Max Hirsh und Michael Schiefel selbst) und folgen ihrer ganz eigenen Form von Songformat. Andere bleiben nonverbal und abstrakt. Den ideellen Zusammenhalt stiftet eine Reihe von dreistelligen Akronymen, die wir alle von den kleinen Wimpeln an unseren Gepäckstücken kennen. In „TLV“ zum Beispiel tauchen wir direkt ein in das multilinguale Stimmengewirr von Tel Aviv mit seinen Discos, Hochhäusern, Mobiltelfonen und kurzen Zündschnüren, die den Besucher schnell ans Wasser treiben. Wie es im Text heißt: I prefer the beach. Und so geht es weiter, zum Beispiel nach Moskau, dessen Dunkelheit und Kälte mit langen, liegenden Tönen und einem frostigen Hall auf der einsamen Leadstimme spürbar wird. Ganz im Gegensatz dazu Hong Kong, das Michael Schiefel, trotz des Gewusels stets „wie eine warme Badewanne“ empfindet. Es folgen Stationen wie San Francisco, Karatchi, New York und Boston, welches den vielleicht berührendsten Song des Albums inspirierte: Titelheld „Benjamin“ ist mit außergewöhnlichen Fähigkeiten gesegnet, behält sie aber lieber für sich. Die Geschichte enthält ein paar Motive, die uns in Schiefels bisherigen Songs schon häufiger begegnet sind: Außenseitertum, Entfremdung und die Kraft der Kreativität. Am Ende steht die Rückkehr auf den harten Boden der Tatsachen: „TXL (Back In Berlin)“ ist eine Meditation über das Ankommen in einer vertrauten, aber darin auch ganz schön deprimierenden Welt. Dahinter schließlich liegt nur noch Funafuti – der einzige Flughafen der Platte, auf dem Schiefel noch nie war. Und genau darum geht es ihm. Wie er im ersten Song singt: I think I should be in Funafuti / get lost in the sea. Funafuti wird zum idealisierten, fernen Ort, dessen Reiz sich noch dadurch erhöht, dass sein Flughafenkürzel FUN lautet. Spaß ist, bei allem Tiefgang und seiner offenkundigen Virtuosität, ein Faktor, den man bei Michael Schiefel nie unterschätzen sollte. Spaß an klanglicher Fabulierkunst, Spaß am technischen Fortschritt, Spaß an der eigenen Stimme, am einsamen Basteln wie am kollektiven Musizieren, wie er immer wieder als Stammspieler in den Formationen Jazz Indeed und Nicolai Thärichens Tentett beweist. „Auf My Home Is My Tent“ verbindet er diese Leichtigkeit mit persönlichen Betrachtungen, Erfahrungen und musikalischen Ansätzen. Es ist eine Einladung an alle, die sich von Musik lieber herausgefordert fühlen als eingelullt, und die für eine außergewöhnliche Erfahrung kein Hotelbett brauchen, wenn doch manchmal ein Zelt ausreicht.
New Single (digital only) Michael Schiefel Boy's don't cry
Neues Album mit Thärichens Tentett
Thärichens Tentett Kurzer Blick zurück, Deutschland im Jahr 2001: Immer mehr Jazzmusiker ziehen in die Hauptstadt, es heißt, es entstehe dort ein neuer Sound, unbeschwert, verspielt, exzentrisch. Skeptiker nörgeln am Berlin-Hype, doch mit etwas zeitlichem Abstand lässt sich die Tragweite der Entwicklung nicht mehr leugnen: Es schält sich zu jener Zeit eine Spielart des Jazz heraus, die das Originelle zum größten Gut erklärt, ohne dabei gegen Traditionen zu rebellieren; die Pop mag und auch Kammermusik, Big Band Swing genauso wie Frank Zappa; und die sich nicht damit zufrieden gibt, die Mauern der Kategorien einzureißen, sondern aus der neu entstandenen Freiheit einen eigenen Stil formt. Folglich sind es nicht einzelne virtuose Solisten, die den Ton angeben, sondern improvisierende Komponisten. Allen voran der Pianist Nicolai Thärichen, der 2001 „Lady Moon“ veröffentlicht, die erste CD seines Tentetts. Ein irrer Wurf: Er nimmt sich Gedichte vor, ganz unjazzgemäße, von Lord Byron, Thomas Hardy und Ronald D. Laing. Versammelt einige der besten Jazzer Berlins zu einem Klangkörper, den er biegt und knetet, bis aus den Gedichten tanzende Skulpturen werden, die sich aufbäumen können zu einer donnernden Big Band, um sich im nächsten Moment filigran zu verschlanken, als hätte man es mit kammermusikalischen Giacomettis zu tun. Und er toppt das ganze mit der Stimme Michael Schiefels, der androgyn, sinnlich, überdreht, virtuos, kurz: völlig durchgeknallt ist, jedenfalls wenn er auf der Bühne steht und sich in eine „Scat-Rampensau“ (Josef Engels in „Rondo“) verwandelt. Thärichen, damals 31, ist geglückt, was Künstler meist nur einmal im Leben schaffen: Er hat eine tragende Idee gefunden, einen Masterplan für eine ganze Künstler-Laufbahn. Diesen gestaltet er in den folgenden Jahren mit den Alben „The Thin Edge“ (2003) und „Grateful“ (2005) konsequent aus. Sein Tentett bleibt ihm so gut wie ohne personelle Veränderungen erhalten. Auch seine Lieblingsdichter bleiben ihm treu, v.a. Ronald D. Laing, Mitbegründer der Anti-Psychiatriebewegung und gnadenloser Sarkast; andere, wie Dorothy Parker, kommen hinzu. Und das Publikum? Wird von Jahr zu Jahr, von CD zu CD, enthusiastischer. Die SZ preist Thärichens Tentett als „das kompositorisch Gelungenste, arrangementtechnisch Ausgefeilteste und in der Präsentation Humorvollste, was derzeit in Deutschland von einer größeren Besetzung kommt“. Und über Michael Schiefel urteilt die FAZ: „Einen solchen Jazzsänger hat Deutschland vielleicht noch nie gehabt“. Kein Grund zur Sorge: Nicolai Thärichen und seinem Tentett geht es bestens. Musiker wie Stücke sprühen vor Ideen. Das AC/DC-Cover „Up to my neck in you“ macht den Anfang, virtuos arrangiert, volle Kraft voraus. Und doch: Um Abschied geht es in beinahe jedem Stück. „Farewell Songs“ ist Thärichens persönlichste Platte bisher. Tiefe Einschnitte der letzten Zeit fließen in die Musik ein. Die dreiteilige „Farewell Suite“ widmet er seinem kürzlich verstorbenen Vater, dem Komponisten, Autor und langjährigen Solo-Pauker der Berliner Philharmoniker, Werner Thärichen (1921-2008). Doch wie nur vertont man den Abschied vom Vater? Nicolai Thärichens musikalische Trauerarbeit umfasst ein ganzes Gefühlsspektrum: Die Suite schreitet von Trauer und Schmerz („Waltz for my Father“) zum fragenden Innehalten („Strange Bells“) und findet beim Song „If“ ein versöhnliches Ende in den lapidaren Zeilen Robert Creeleys: „...you’ve had the world, such as you got. / There’s nothing more, there never was.“ Thärichen erreicht mit dieser Suite eine neue Dimension kompositorischer Reife. Bei seinem Tentett erklingt ein Gefühl wie Trauer nicht als Zustand, sondern als Prozess: Während zwei der großen Lyriker unter seinen Solisten – der Trompeter Sven Klammer und der Flötist Andreas Spannagel – in ihren Soli klangfarbliche Introspektion betreiben, beginnt die Band zu brodeln, bis Trauer in Wut und Aggression umschlägt. Verlust heißt hier auch, dem inneren Kontrollverlust zu begegnen. Abschied à la Thärichen hat allerdings nicht zwangsläufig mit Trauer zu tun. In Dorothy Parkers Gedicht „On being a woman“ wird
selbstironisch über die allzumenschliche Entscheidungsschwäche hergezogen: Bin ich in Rom, will ich nach Hause, bis ich zuhause, will ich nach Rom. Eine solche Steilvorlage lässt sich Michael Schiefel nicht nehmen: Er legt los mit einer Scat-Improvisation, aber nicht getreu den Konventionen des Jazz, sondern in der Stimme eines überkandidelten Opernhelden. Sein Vibrato trieft vor Camp-Pathos, zwischendrin wähnt man sich in der Bohemian Rhapsody, und als ob das alles nicht schräg genug wäre, beginnen die Bandmitglieder auch noch, den Rhythmus als Human Beat-Box zu sprechen. Nicht wie es Hip-Hopper tun, bumm-tscha-bumm, sondern mit extrem merkwürdigen Lauten. Hört man richtig? Singen die da wirklich „Bumm da-ga-disch uh-uh-dicke Backe“? Exaltiert und skurril: Die Abschiede des Thärichen Tentetts machen richtig Spaß. Erst recht, wenn die Galligkeit Ronald D. Laings zum Zuge kommt („Unadored“). Wenn der Partner einen behandelt wie Dreck, warum
ihn nicht verlassen mit Worten wie diesen: „It’s none to soon / for a new spittoon / and something else to shit in“? Dazu der funkige Groove im 7/4-Takt: Tür zuschlagen im Tanzschritt. Auch das kann man lernen von Thärichens Tentett. Die „Farewell Songs“ von Thärichens Tentett klingen so abgeklärt wie tiefgründig, sind todernst und total abgedreht. Sie handeln vom Verlieren und vom Finden, und davon, dass man das eine selten ohne das andere bekommt.
Michael Schiefel Am Anfang war der Mut. Michael Schiefel wollte singen, doch er hatte
wenig Lust, sich in den ausgetretenen Pfaden der Jazzstilistik zu bewegen.
Sicher, das Handwerkszeug musste er mitbringen, eine solide Stimmausbildung
etwa an der Hochschule der Künste in Berlin, grundlegende Bühnenerfahrungen
ebenfalls, die er sich in Combos der Anfang der Neunziger aus dem kulturellen
Dornröschenschlaf erwachenden Großstadt aneignete. Der Rest jedoch
blieb offen, zur freien Gestaltung. Schiefel begann zu experimentieren, hörte
McFerrin und bekam gezeigt, dass es nicht zwangsläufig eine Band braucht,
um vor Publikum zu bestehen. Und er stieß auf ein technisches Hilfsmittel,
ein Loop-Gerät, das es ihm ermöglichte, sich selbst live akustisch
zu vervielfältigen. Aus dem Solisten wurde ein Orchester, lineare Melodiebögen
wuchsen zu verwinkelten, verspielten Vokal-Architekturen heran. Hier ein
Klangerkerchen, da ein Tontreppchen, zuweilen auch ein versteckter Notausgang,
um zum Kern des Gesangs zurückzufinden.
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